David Porter: Entfachte Utopie – Emma Goldmann über die Spanische Revolution

Leseprobe

Porträt Emma Goldman
Emma Goldman

Emma Goldman wurde 1869 in Kowno (dem heutigen Kaunas), Litauen, geboren, damals Teil des Russischen Zarenreiches. Als dritte Tochter ihrer Mutter war sie gleichzeitig das erste Kind aus deren zweiter Ehe. Ihre jüdischen Eltern eröffneten bald eine Gastwirtschaft in der baltischen Stadt Popelan (heute Papilè). Hier und in allen weiteren Orten, in denen sie mit ihren Eltern lebte, wurden schon früh die Grundsteine für Goldmans radikale Gesinnung gelegt. Ein tyrannischer und gewalttätiger Vater, der strenge Umgang ihrer Eltern mit Angestellten und Hausmädchen, die Unterdrückung der lokalen Kleinbauern durch Staatsbeamte, antisemitische Vorurteile und Drohungen sowie der erdrückende Autoritarismus in der Grundschule fügten ihrem jungen Verstand Narben zu. Bereits als Kind rebellierte sie gegen die unmittelbare Unterdrückung in der Familie und Schule und widersetzte sich ebenso stur den daraus folgenden Strafen. Im frühen Teenager-Alter las sie zum Beispiel in Tschernyschewskis Roman Was tun? von jungen russischen RevolutionärInnen und machte sie zu ihren heimlichen Vorbildern. Mit sechzehn hatte sie bereits mehrere Jahre in Handschuh- und Korsettfabriken in St. Petersburg gearbeitet und machte ihre ersten sexuellen Erfahrungen. Beides erinnerte sie allerdings an den zuvor erlebten männlichen Autoritarismus und physischen Missbrauch.

Auf der Suche nach einem Ausweg aus dieser persönlichen, ökonomischen und politischen Unterdrückung blickte Goldman – wie viele andere – sehnsüchtig nach Amerika, dem Land eines potenziellen Neuanfangs. Im Dezember 1885 wanderte sie zusammen mit ihrer Schwester aus und ging nach Rochester, New York, wo ihre gemeinsame Schwester Lena mit ihrem Ehemann lebte. Wie die meisten MigrantInnen entdeckte sie schon bald die Realität hinter der schimmernden Fassade. So übertraf beispielsweise die geforderte Disziplin an ihrem Arbeitsplatz in einer Bekleidungsfabrik sogar die in St. Petersburg. Zudem überquerten bald auch ihre Eltern und jüngeren Brüder den Atlantik und gesellten sich zu den drei Schwestern in Rochester. Erneut litt Emma unter dem Gefühl, in der Enge der familiären Schranken zu ersticken. Aus dem verzweifelten Wunsch, hieraus zu entkommen, heiratete sie einen ebenfalls immigrierten Kollegen. Allerdings wohnten sie gemeinsam weiterhin im Haus ihrer Eltern und ihr Ehemann entpuppte sich als impotent.

Zu dieser Zeit begann Goldman Zeitungsartikel über die sozialistische Bewegung in den Vereinigten Staaten zu lesen und öffentliche Vorträge zu besuchen. Besonders vereinnahmten sie die Details über den Bombenanschlag auf dem Chicagoer Haymarket-Square und die anschließende Verhaftung und Verurteilung von acht anarchistischen Aktivisten. Wie viele andere ZeitgenossInnen gelang sie zunehmend zu der Auffassung, die Verurteilten seien unschuldig und der Brutalität des Staates sowie wirtschaftlichen Interessen zum Opfer gefallen. Als die Ungerechtigkeit in vier Exekutionen gipfelte, war Emma Goldman außer sich. Sie betrachtete die tragische Farce ihrer eigenen kleinen Existenz vor den noblen Idealen, die diese Männer verkörperten, und vereinte schließlich ihre persönliche und ihre politische Frustration zu einem soliden Bollwerk. Bald darauf entschloss sie sich, alleine nach New Haven und später New York zu ziehen und sowohl ihren Ehemann und ihre Eltern als auch das Leben in unterwürfiger politischer Konformität hinter sich zu lassen.

Erschienen im Unrast-Verlag, 2016.